Wir Reiter stecken viel Zeit und Energie in die Ausbalancierung unseres Pferdes. Dazu gehört es natürlich, dass unser Pferd ausbalanciert unter uns läuft und uns tragen kann.
Immer wieder üben meine Teilnehmer in meinen Yoga Stunden genau dieses; sich auszubalancieren. Irgendwie siehts ganz einfach aus- und doch tun sich viele so unendlich schwer. Und dennoch fordern wir dieses „Einfache“ wie ganz selbstverständlich von unserem Pferd. Noch dazu, mit uns oben drauf.
Egal ob in Bewegung oder in der Stille, es wird ständig wackelig in meinen Yogakursen. Die Teilnehmer ärgern sich und sind enttäuscht von sich selbst. Die Gesichter in den Gleichgewichtshaltungen sprechen Bände…“ hoffentlich wackelt es diesmal nicht so sehr, herrje gleich falle ich um, wieso können die anderen das eigentlich viel besser, wie lange halten wir denn noch“? Permanente Gedanken die in einfachen Gleichgewichtshaltungen immer wieder auftauchen und für betrübte Gesichter sorgen.
Der Baum ist eine der ganz klassischen Gleichgewichts- und Konzentrationshaltungen im Yoga. Sieht einfach aus- und doch irgendwie schwer. Einfach nur auf einem Bein stehen, völlig gleichgültig, in welcher Höhe sich das andere Bein befindet. Hauptsache erstmal stehen.
Um einfach und dazu auf einem Bein stehen zu können, leistet unser Körper so einiges. Das spürst du spätestens dann, wenn du dich auf ein Bein stellst und so stehen bleibst und dann sogar noch deine Augen schließt.
Wir sind alle nicht völlig symmetrisch, haben ein stärkeres Bein als das andere, die Hüfte ist schief, Fehlhaltungen und unterschiedliche Körperschwerpunkte. Unseren Pferden geht es nicht anders. Hier hören wir z.B. von der hohlen und der langen Seite, einer natürlichen Schiefe. Auch wenn unsere Pferde 4 Beine haben, macht es die Sache mit der Balance nicht einfacher. Und schon gar nicht dann, wenn der nicht ausbalancierte Reiter noch oben auf sitzt.
Was wir hier von unseren Pferden erwarten, erfordert Körperbewusstsein, Körpergefühl und Konzentration.
Und genau darum geht es auch im Yoga ;-)
In Gleichgewichtshaltungen stabilisiert sich dein Körper, baut noch so kleine Muskulatur auf, koordiniert sich und sortiert sich.
Jede Haltung wirkt nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf geistiger Ebene. Ob du willst oder nicht ;-)
Balancehaltungen fördern deine Selbstbestimmtheit, deine Zielorientierung. Du übst dich in Konzentration. Gerade in der heutigen Zeit, wo es darum geht möglichst viele Dinge auf einmal zu tun, um möglichst schnell voran zu kommen. Der Baum zeigt dir, dass es wichtig ist, dich auf den Augenblick zu konzentrieren. Tust du mehrere Dinge auf einmal, wird es wackelig und du kommst aus dem Gleichgewicht.
Unseren Pferden verlangen wir stets höchste Konzentration ab. Ständig bei uns sein, uns sehen und beachten. Möglichst die ganze Aufmerksamkeit auf uns gerichtet.
Und was tun wir so? Wir quatschen mit der Stallfreundin, schauen aufs Handy, schreiben schnell noch eine WhatsApp, tun mehrere Dinge auf einmal und sind mit unseren Gedanken überall- nur selten wirklich bei unserem Pferd im Augenblick.
In meinen Yogastunden üben wir genau das immer und immer wieder. Egal ob auf einem Bein oder auf Händen und Füße gleichzeitig. Sobald ein Bein oder eine Hand den Boden verlässt, spürt jeder, welche Körperteile gerade arbeiten, wo Defizite sind und das Körper und Geist miteinander in Verbindung stehen. Sobald nämlich deine Gedanken abschweifen, wackelt es noch mehr.
Die körperlichen Vorteile des Yoga fühlst du in deinen Bewegungen im Alltag und beim Reiten. Auch dein Pferd wird dir Rückmeldungen geben- sobald du bereit bist, zuzuhören ;-)
Wenn du regelmäßig übst, kannst du irgendwann fühlen, das sich dein Körper verändert, das dein Gedankenkarusell leiser wird oder sogar für einen Moment aufhört. Du kannst dich ganz dem Moment hingeben. Du fühlst, welchen Einfluss deine Atmung auf den Augenblick hat. Und immer wenn du aus meiner Yoga Stunde zurück in deinen Alltag kehrst, nimmst du ein bisschen von den geistigen Aspektes des Yoga mit.
Pferd und Reiter dürfen also ausbalanciert sein, damit der Reiter nicht zur Last wird. Fehlende Balance findet sich in Fehlhaltungen, Verspannungen, Hektik oder Angst wieder. Nicht ausbalancierte Pferde hetzen gerne- genauso meine Yogateilnehmer, die ungern auf einem Bein stehen. Hauptsache schnell wieder absetzten und raus aus der Situation.
Fokus in der Balance ist der Schwerpunkt- bei Pferd und Reiter. Bei uns Reitern ist dieser ca. eine Handbreit unter dem Bauchnabel. Verändern wir unsere Haltung, bewegt sich der Schwerpunkt ein wenig und bleibt dennoch an der gleichen Stelle- nämlich exakt über Beinen und Füße.
Bei unserem Pferd befindet sich dieser im Stand in der Brustmitte. Je nach Gangart, Geschwindigkeit, Körperhaltung und Einfluss der Reiters wandert der Schwerpunkt vor, zurück oder zur Seite.
Gemeinsam ins Gleichgewicht kommen wir also, wenn unser Schwerpunkt stets über dem Schwerpunkt des Pferdes bleibt. Dazu tragen natürlich auch unsere vielen einzelnen Körperteile eine entscheidende Rolle.
Kippen wir nach hinten, drücken wir mit unserem Gewicht auf die Lendenwirbelsäule unseres Pferdes. Unser Pferd drückt seinen Rücken weg und schaufelt mit der Hinterhand raus. Kippen wir nach vorne, bringen wir unser Pferd mehr auf die Vorhand.
In der Bewegung natürlich deutlich herausfordernder als in der Stille. Stell dir nur vor, du würdest in der Baumhaltung auch noch das Gewicht eines anderen tragen dürfen…
Vom Kopf bis zum Fuß hat jedes einzelne Körperteil seine eigene kleine „Aufgabe“ zu erledigen. Harmonieren alle Körperteile von Pferd und Reiter gemeinsam, wird reiten leicht. Dazu darf erst einmal jeder für sich seine eigene Balance finden. Viel Spaß beim Üben.
Alles Liebe
Ina